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Tilman Tarach: Der deutsche Alan Dershowitz

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„Was bei der Lektüre des Buches schon nach wenigen Seiten auffällt ist die immense Sorgfalt und Präzision, mit der Tilman Tarach zu Werke geht, dazu seine instinktsichere Verknüpfung und situative Zusammenführung der historischen Dimension des Antisemitismus speziell in Nahost mit der persönlichen Verstricktheit der Protagonisten.“1

Tilman Tarach: Der ewige SündenbockDie Welt ist voller Märchenbücher und Lügengeschichten. Dies kann manchmal amüsant sein, häufiger aber ist es einfach nur ärgerlich. So auch im Falle Tilman Tarachs, dessen Buch „Der ewige Sündenbock“ landauf, landab von Verteidigern der israelischen Besatzung gepriesen wird.2 Tarachs Anliegen: die Verlogenheit der Linken im Nahostkonflikt aufzuzeigen. Tarachs Problem: Er stolpert dabei einfach über seine eigenen Argumente. Das Dilemma: wer hat schon wirklich Zeit (und Lust) eine ausführliche Widerlegung dieses Schwindel-Buchs zu schreiben?

Tarach ist zu unwichtig, sein Buch zu unbekannt und darüber hinaus zu unstrukturiert, als dass es einen ernsthaften Beitrag zur Debatte darstellen könnte. Aber es wird anscheinend trotzdem von einigen empfohlen und gelesen. Darum will ich hier kurz und exemplarisch das erste Kapitel bearbeiten, um zu zeigen, wie Tarach versucht, die Faktenlage zu entstellen.  Ganz im Stile seines Vorbilds Alan Dershowitz3 halbiert und/oder verändert er die Quellen in einer ihm angenehmen und funktionalen Weise. Das Anliegen, alles seiner Sichtweise zu unterwerfen, indem er die Präsentation der Faktenlage jener anpasst, ist zu leicht zu durchschauen.

Das Massaker in Hebron

Das Buch beginnt „stilvoll“ ohne Einleitung, indem sich der Autor sofort das Hebron-Massaker von 1929 vorknöpft, bei dem, so Tarach, die britische Polizei den Juden nicht habe helfen wollen oder können.4 Einige Zeitzeugen kommen zu Wort. Nebenbei heißt es:

Die Briten brachten die überlebenden Juden – einige (sic!) waren von ihren arabischen Nachbarn versteckt und dadurch geschützt worden – für drei Tage in ihre Polizeistation.5

Tarach hat bis zu diesem Abschnitt inzwischen dreimal Tom Segevs Es war einmal in Palästina zitiert.6 Dort berichtet Segev ausführlich über das Massaker in Hebron.7 Man kann also davon ausgehen, dass er Segevs Buch und hier besonders das Kapitel über Hebron kennt. Dennoch behauptet er unverdrossen, dass lediglich „einige“ Juden von ihren arabischen Nachbarn gerettet worden wären, obwohl Segev in dem soeben von ihm mehrfach zitierten Abschnitt darlegt, daß es nicht etwa „einige“ Juden waren, die durch ihre arabischen Nachbarn gerettet wurden, sondern 435 – also zwei Drittel der gesamten jüdischen Gemeinde.8

Aber auch sonst liegt bei Tarachs Bodycount einiges im Argen, legt er doch alles daran, die Augen einzig auf die jüdischen Opfer zu lenken, während er die Verluste der arabischen Seite möglichst weit verniedlicht. So gibt er die Anzahl der toten Juden mit „mindestens“9 133 an, die der Verletzten mit über 300.10 Hier handelt es sich jedoch um die Zahlen für ganz Palästina und nicht etwa nur für Hebron.11 Im Gegenzug beziffert er die toten Araber in Hebron auf neun.12 Die 116 getöteten und 232 verletzten Araber im Rest des Mandatgebietes lässt er hingegen unter den Tisch fallen. Und das wohl vor allem deshalb, weil diese nicht nur bei der Notwehr von Juden oder ihrer Verteidigung durch die Briten getötet oder verletzt wurden, sondern, wie Segev im selben Kapitel berichtet, auch Juden Jagd auf Araber machten.13 Passt man nicht auf, so zählt man 133 tote Juden gegen lediglich neun tote Araber.

Weiterhin schreibt Tarach, dass 8.000 Juden an jenem 23. August 1929 vertrieben wurden.14 Wohin? Das schreibt er nicht. Wohl kaum zurück nach Europa, sondern eher aus einer Siedlung oder Stadt in eine andere. Hier wird dezent schon eine Rechtfertigung für die spätere ethnische Säuberung durch die Zionisten vorbereitet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Was Tarach eigentlich bezweckt, kommt dann endlich auf Seite 23 heraus:

„Die Massaker waren also weder antiimperialistisch – niemand durfte die Engländer anrühren – noch ‚antizionistisch‘ motiviert, sie waren keineswegs ‚gegen die zionistische Machtpolitik in Palästina‘ gerichtet, sondern von einem Antisemitismus getragen, dessen religiös-obskurantistischen Gehalt wir noch näher beleuchten werden.“

Segev dagegen schlussfolgert, dass es im Fall des Hebron-Massakers vor allem die Furcht vor der Schändung und Vernichtung muslimischer Heiligtümer sowie vor der Errichtung einer zionistischen Heimstätte war, die Araber dazu brachte, Juden anzugreifen. Sie wurden auch aus wirtschaftlichen Gründen ermordet, um Schulden an sie nicht zurückzahlen zu müssen. Und Fremdenhass spielte auch eine Rolle, da fast alle von ihnen aus Amerika oder Europa stammten. Gleichzeitig wiederum wurden die meisten Juden von Arabern gerettet. „Etliche Araber wurden bei der Verteidigung ihrer jüdischen Nachbarn verletzt“, zitiert Segev einen Juden. Manch einer mag Schutz gegen Geld gewährt haben, die meisten Araber jedoch befolgten mit dem Schutz das traditionelle Gebot der Gastfreundschaft. Segev fragt zu Recht, wo man in der Geschichte der Juden eine solche Massenrettung finde.15 Aber auch der Palestine Royal Commission Report16, dem man nicht gerade Sympathie für die Bestrebungen der Araber zusprechen kann, geht im Falle des Konflikts nicht von einer irrationalen Abneigung gegen die Juden, das heißt von Antisemitismus, aus, sondern von dem Bestreben der arabischen Führer, jene Unabhängigkeit zu erlangen, die ihnen schon im Krieg gegen das Osmanische Reich versprochen worden war. Nachdem die Balfour-Deklaration auch den Juden 1917 eine Heimstätte in Aussicht gestellt hatte, war ein offener Konflikt zwischen den nationalistischen Parteien entbrannt. Tarach entkleidet hier das blutige Massaker seines historischen Zusammenhangs. So schreibt Benny Morris, einer der bekanntesten pro-zionistischen Historiker Israels, in seinem Buch über die Entstehung des arabisch-zionistischen Konflikts:

„Bis spätestens 1929 hatten die Araber verstanden, dass das überproportionale Wachstum des Yishuv [der jüdischen Kolonie in Palästina – schmok], das durch Maßnahmen der Mandatsregierung genährt und unterstützt wurde, verhieß, sie zu einer Minderheit in ihrem eigenen Land zu machen. Gewaltfreier politischer Protest war dabei, sich als ineffektiv zu erweisen […]“17

Das Massaker in Hebron war Ausdruck eines Konflikts zwischen zwei verschiedenen arabischen Parteien sowohl untereinander als auch mit der immer mehr erstarkenden und durch die Mandatsregierung unterstützten zionistischen Bewegung. Die eine Seite arbeitete mit den Briten und den Zionisten zusammen, um davon zu profitieren, während die Opposition unter Amin al-Husseini diese Zusammenarbeit bekämpfen wollte. Der Anlass für die Massaker war schließlich ein Streit zwischen Juden und Muslimen um die Klagemauer, bei dem die Zionisten den Status quo verletzten, der seit osmanischer Zeit ein friedliches Nebeneinander von muslimischen und jüdischen Gläubigen um die Klagemauer gewährleistet hatte. Es folgten Demonstrationen von Juden und von Arabern, die in bewaffneten Auseinandersetzungen endeten (deren Verlauf jeder, den es interessiert, bei Morris nachlesen kann)18. Dies alles und die gesamte Quellenlage zu dem Konflikt wird von Tarach einfach ausgeblendet, als habe es nie eine Balfour-Deklaration, einen Landkonflikt, einen Plan der Zionisten zur Gründung Israels und viele andere Kontexte gegeben. Was er mit deren Ausblendung bezweckt, sollte mittlerweile klar sein: die Reduktion auf einen irrationalen „religiös-obskurantistischen“ Judenhass. So einfach kann die Welt sein.

Ähnlich wie in diesem Kapitel verhält es sich mit den anderen: Falschdarstellungen, interessierte Quellenauswahl, Halbwahrheiten und Verdrehungen. Dieses Buch ist nicht das Papier wert, auf dem es gedruckt ist. Doch wer kontrolliert schon Fußnoten, mag sich Tarach gedacht haben. Wer allerdings keine Lust hat, Märchen über die Geschichte Israels und Palästinas zu lesen, sollte besser bei den anerkannten Historikern bleiben – ob nun rechts wie Benny Morris, liberal wie Tom Segev oder links wie Ilan Pappe. Bei diesen Leuten, deren Werke bisher noch nirgendwo widerlegt wurden, kann man sich wenigstens einigermaßen sicher sein, dass sie keine Lügen und Halbwahrheiten verbreiten, sondern nach strengen akademischen Regeln arbeiten. Bei Tarach dagegen wird die einseitige, verdrehte Interpretation gleich gratis zum Buch mitgeliefert. Aber irgendwo müssen geläufige Lügen ja auch in die Welt kommen.19 Das Schema dabei ist immer das gleiche: Jemand schreibt eine Behauptung auf, und alle zitieren sie voneinander, so dass es bald erscheint, als sei diese Erfindung eine felsenfeste Tatsache. Um die ganzen Manipulationen ausfindig zu machen, müsste man sich durch alle Fußnoten bei Tarach quälen und seine Quellen wiederum selbst einer Prüfung unterziehen. Das kann ich auf Grund von Zeitmangel im Moment nicht leisten. Aber bei nun schon drei Auflagen sollte man sich ernsthaft Gedanken machen, ob es sich nicht langsam lohnt, diesem Schwindel-Doktor ein für alle Mal das Handwerk zu legen.

  1. Bernd Dahlenburg (Honestly Concerned) als Referenz auf Tarachs Blog.
  2. Alle Zitate und Fußnoten beziehen sich auf die 2. Auflage, März 2009; die dritte Auflage hat ein Geleitwort von Henryk M. Broder bekommen. Anscheinend meint Tarach, dass ein solches sein Buch veredeln würde.
  3. The Case for Israel, 2003. Dershowitz‘ Apologie auf die Menschenrechtsverletzungen durch den Staat Israel wurde umfassend und genau von Finkelstein (Beyond Chutzpah – On the Missuse of Anti-Semitism and the Abuse of History, dt.: Antisemitismus als politische Waffe) analysiert und  sämtliche seiner Falschdarstellungen widerlegt.
  4. Tarach, S. 10; es gab im ganzen Mandatsgebiet ca. 292 britische Polizisten und weitere 100 Soldaten. Zu wenige, um alle Juden überall beschützen zu können. Vgl. Benny Morris – Righteous Victims – A History of the Zionist-Arab Conflict 1881-2001, S. 113.) Tarach versucht aber hier anzudeuten, dass es Vorsatz der Briten war, Juden nicht zu schützen (er zitiert dafür die stalinistische KP, die ein ausgesprochener Feind der britischen Mandatsmacht war). Andere Quellen wie Segev (Es war einmal in Palästina) und Morris widerlegen eine solche Behauptung jedoch umfassend.
  5. Tarach, S. 12.
  6. Vgl. ebenda, S.10, Fußnoten 1 und 3. sowie S. 11, Fußnote 6.
  7. Segev, Palästina, S. 343-358.
  8. Vgl ebenda, S. 356 f.
  9. Dieses „mindestens“ soll Zweifel erwecken, denn auch hier kannte Tarach Segev als Quelle, die die Zahl ebenfalls mit 133 toten Juden und exakt 339 Verletzten angibt. Dennoch nutzt Tarach Gudrun Krämer als Quelle. Warum? Weil die Zahl von 339 zu genau geklungen hätte? Mit dem mindestens deutet er an, dass dort u.U. noch viele Tote mehr zu verzeichnen sind, die aber offiziell nicht bekannt sind.
  10. Tarach, S.13.
  11. Segev, S. 358; Morris, S. 116.
  12. Tarach, S. 13.
  13. Segev, S.358; Vgl. auch Morris, S. 116.
  14. Tarach, S. 13.
  15. Segev, S. 356 f.
  16. London, 1937; zitiert bei Finkelstein, Beyond Chutzpah, 1. Auflage 2005, S. 257 f.
  17. „By 1929 the Arabs understood that the disproportionate growth of the Yishuv, nurtured and sustained by Mandatory government measures, promised to turn them into a minority in their own land. Nonviolent political protest was proving ineffective […]“ – Morris, S. 111.
  18. Ebenda, S. 112-114.
  19. Siehe auch die 4000 in Auschwitz ermordeten Kinder, für deren Tod der Mufti angeblich verantwortlich gewesen ist.

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